Podiumsdiskussion mit Evelyne Gebhardt 3.11.2023 im Dokumentations-und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma.
Anlässlich des vor 60 Jahren unterzeichneten Elysee-Vertrags zur Aussöhnung und Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland lud die SPD Heidelberg am 3. November die wohl beste Kennerin der deutsch-französischen Beziehungen ins Heidelberger Dokumentations-und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma ein. Beauftragte des SPD Kreisvorstands für die Veranstaltungsorganisation waren Alexander Dohayman und Jaswinder Pal-Rath. Die SPD-Politikerin Evelyne Gebhardt. Sie war bis 2021 Mitglied des Europaparlaments und von 2017 bis 2019 dessen Vizepräsidentin.
Der erste einstündige Teil der Podiumsdiskussion war einem Bündel von außenpolitischen und innereuropäischen Fragen des Moderators Alexander Dohayman gewidmet, an den sich ein zweiter Teil mit Fragen aus dem Publikum anschließen sollte. Vor gut 30 Zuhörer:innen begann der Moderator die Diskussion mit einer detaillierten Einführung und Würdigung der wichtigen Europa-Politikerin:
Evelyne Gebhardt wurde in Montreuil bei Paris geboren. Nach dem Abitur studierte sie Sprach- und Politikwissenschaft an der Sorbonne in Paris, in Tübingen und in Stuttgart. 1975 zog sie nach Deutschland und trat der SPD bei. Von 1989 bis 2009 gehörte sie dem SPD-Landesvorstands von Baden-Württemberg und von 2010 bis 2011 dem Bundesvorstand an.
1994 wurde sie ins Europaparlament gewählt, wo sie von 2017 bis 2019 das Amt als dessen Vizepräsidentin bekleidete. Schwerpunktthemen ihrer Tätigkeit waren Binnenmarktpolitik, Verbraucherschutz, Bioethik und Bürgerrechte.
Der Moderator begann seinen Fragenkatalog mit der Bedeutung des vor 60 Jahren geschlossenen Elysee-Vertrags und des 2019 unterzeichneten Aachener Vertrags.
Die Referentin Gebhardt benannte als Triebkraft des Elysee-Vertrags den französischen Präsidenten Charles de Gaulle, der in diesem Vertrag eine Möglichkeit sah, den deutschen „Nachbarn einzubinden und zu kontrollieren“.
Der 2019 von Macron und Merkel unterzeichnete Aachener Vertrag war eine Erweiterung des Elysee-Vertrags, um die Integration und Zusammenarbeit bei der Digitalisierung auf der Ebene der Polizei und des Militärs, was jedoch bei den Nationalisten beider Länder auf Kritik stieß.
Auf die Frage nach der Haltung der EU zur Ukraine antwortete sie, dass die EU sehr wohl bereit ist, die Ukraine als Mitglied aufzunehmen, dass diesem Schritt aber Probleme bei der Wirtschaft, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratisierung entgegen stünden, deren Bewältigung noch viele Jahre in Anspruch nehmen würde. Damit die Ukraine während der langen Wartezeit sich nicht von Europa abwende, müsse ein neuer Weg einer nachbarschaftliche Annäherung erfunden werden.
Auf die Frage nach der Haltung zu Israel verurteilt die EU den Terroranschlag der Hamas, setzt sich aber für einen möglichst schnellen Waffenstillstand und für eine dauerhafte Lösung des Konflikts durch eine Zweistaatenlösung ein, was jedoch beides vom derzeitigen Regierungschef Nethanjahu abgelehnt wird. Gebhardt konstatiert, dass die südlichen europäischen Staaten eine nähere Beziehung zu den arabischen Ländern haben und beklagt die vom israelischen Premier Minister vorangetriebene Abschaffung der Rechtstaatlichkeit. Gebhardt verurteilt jegliche Form des grassierenden Antisemitismus in Europa und fordert ein hartes Vorgehen.
Bezüglich der transatlantischen Partnerschaft sagte die Referentin, dass sich die EU in Zukunft nicht mehr auf USA verlassen könne und zu deren Schutz eine eigene Armee notwendig wäre, wobei Deutschland eher auf die Kultur der Verteidigung setze und Frankreich auf eine aktive Militärpolitik.
Bei der Erweiterung der EU im Balkan sieht die Referentin im Gegensatz zu vielen anderen Politikern
eine Erweiterung wichtiger als eine Vertiefung der Beziehungen. Als Grund führt sie an, dass einige dieser Staaten tendenziell nach Rechts driften und ihre Rechtspopulisten das EU-Parlament abschaffen wollen.
Die weltmarktbeherrschenden Internet- und Technologie-Firmen wie Google, Microsoft und Amazon versucht die EU durch ein Bündel von Gesetzen in die Schranken zu weisen. So wird z.B. eine Strategie entwickelt, die verhindern soll, dass europäische Startups von USA oder China aufgekauft werden. .
Die weiteren Fragen an Gebhardt bezogen sich auf Fragen der Migration und auf Soziales.
So hatten der Moderator und die Referentin nach einstündiger Podiumsdikussion die wesentlichen Themen der Europäischen Union und zur deutsch-französischen Beziehung angeschnitten. Im zweite Teil der Veranstaltung sollten Fragen aus dem sachverständigen Publikum gestellt werden.
Eine dieser Fragen bezog sich auf das problematische Einstimmigkeitsprinzip innerhalb der EU. Evelyne Gebhardt verwies darauf, dass in fast allen Bereichen dieses Prinzip nicht mehr angewandt wird und nur noch in der Außen- und Innenpolitik und in der Steuerpolitik gelten würde. Aber auch in diesen drei verbliebenen Bereichen müsste das Einstimmigkeitsprinzip abgeschafft werden.
Eine weitere Frage warf erneut die problematische Erweiterung der EU auf, wobei die Referentin darauf hinwies, dass z.B. in Staaten wie Ungarn oder Polen durch die Einbindung in die EU Diktaturen verhindert
Es war ein sehr gelungener Diskussionsabend. Die Antworten von Evelyne Gebhardt waren stets wohlüberlegt und basierten auf ihrer tiefen Kenntnis der der deutsch-französischen Beziehungen und der Arbeit und Dynamik des Europaparlaments.
Die Konferenz in voller Länge: https://www.youtube.com/watch?v=QJtIzkvxoVo