SPD-Kreisverband Heidelberg kritisiert Koalitionsvertrag – Kreisvorsitzende spricht von „Zerreißprobe für die SPD“

Der SPD-Kreisverband Heidelberg übt auf Initiative der Jusos deutliche Kritik am Koalitionsvertrag zwischen SPD und CDU/CSU und spricht von einer „Zerreißprobe für die SPD“. Besonders die Steuer- und Sozialpolitik sowie die Migrations- und Klimapolitik wird in dem vom SPD-Kreisvorstand mit großer Mehrheit angenommenen Antrag der Jusos kritisiert. Die Partei betont die Bedeutung des anstehenden Mitgliedervotums und ruft die Mitglieder dazu auf, sich kritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen.

Der SPD-Kreisverband Heidelberg hat auf Initiative der Jusos Heidelberg den Koalitionsvertrag 2025 zwischen SPD und CDU/CSU in einer Vorstandssitzung deutlich kritisiert. Der Beschluss wurde nach intensiver Debatte mit großer Mehrheit angenommen.

Die Co-Kreisvorsitzende, Anne Jürgens, bezeichnete den Vertrag als „Zerreißprobe für die SPD bundesweit“ und forderte eine grundlegende inhaltliche und personelle Kurskorrektur der Parteispitze.

„Der Vertrag ist nicht der große Wurf, den unser Land bräuchte. Er spiegelt in vielen Bereichen unser schlechtes Wahlergebnis wider und es schmerzt, der Union solche Konzessionen zu machen“, erklärte der Co-Kreisvorsitzende Tim Tugendhat. „Es gilt, im Handeln klarzumachen, wofür die SPD steht. Wir dürfen uns in einer solchen Koalition – sollten wir sie eingehen – nicht den Schneid abkaufen lassen. Sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit.“

Jusos initiieren deutliche Positionierung

Die Initiative ging vom Juso-Kreisverband Heidelberg aus, der den Koalitionsvertrag in einem ausführlichen Antrag analysierte und scharf kritisierte. Zentrale Punkte der Kritik betreffen vor allem die fehlende Steuerfairness, die Rückkehr zu Sanktionen im Bürgergeld, migrationspolitische Verschärfungen sowie unzureichende Maßnahmen beim Klimaschutz und in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik.

„Wir erleben hier keine sozialdemokratische Zukunftsagenda, sondern ein konservatives weiter-so ohne wirklichen Gestaltungsanspruch“, so Jannick Schröder als Teil des Sprecher*innenkreises der Jusos Heidelberg. „Unsere Partei muss sich jetzt entscheiden, ob sie den Weg der sozialen Gerechtigkeit weitergehen will – oder ob sie sich einem Koalitionskompromiss beugt, der unsere Grundwerte aushöhlt.“

Scharfe Kritik an Steuer- und Sozialpolitik

Die Jusos bemängeln unter anderem, dass der Koalitionsvertrag keinerlei Fortschritte bei der Vermögensbesteuerung oder der Reform der Erbschaftssteuer vorsieht, während gleichzeitig Unternehmen durch eine geplante Senkung der Körperschaftsteuer ab 2028 entlastet werden sollen. „Das ist keine Umverteilung im Sinne der Gerechtigkeit – das ist eine Kapitulation vor neoliberaler Interessenpolitik“, heißt es im Antrag.
Auch die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld stoßen auf massive Ablehnung. Die Wiedereinführung strenger Sanktionen sei ein Bruch mit dem Versprechen von 2021, ein unterstützendes und aktivierendes Sozialsystem zu schaffen. Sanktionen träfen häufig die Falschen, würden Misstrauen schüren und Betroffene zusätzlich unter Druck setzen, während ihre Wirksamkeit zur Mobilisierung von Menschen für den Arbeitsmarkt mehrfach widerlegt wurde.

Migrations- und Klimapolitik verfehlen den Anspruch

Der Antrag kritisiert außerdem die Abschaffung der beschleunigten Einbürgerung und die Einschränkungen beim Familiennachzug, ebenso wie die geplanten Abschiebungen in Länder wie Afghanistan und Syrien. „Das ist keine verantwortungsvolle Migrationspolitik, sondern ein gefährlicher Rückfall in rechte Narrative“, betonen die Antragstellerinnen. Migration werde praktisch nur aus sicherheitspolitischer Sicht betrachtet und muslimisches Leben in Deutschland nur im Zusammenhang mit Integration und Islamismus erwähnt. Der Koalitionsvertrag normalisiere damit Misstrauen und Vorurteile gegenüber Musliminnen und enthalte kein Bekenntnis zu religiöser Vielfalt. Dies sei für die Antragsteller*innen nicht hinnehmbar.

Auch beim Klimaschutz fehle es an Verbindlichkeit. Wichtige Schritte im Verkehrs- und Gebäudesektor würden aufgeschoben, klare Fahrpläne zur CO₂-Reduktion blieben aus. Der Vertrag bleibe „eine Ansammlung vager Absichtserklärungen ohne mutige Umsetzungsperspektive“, so der Antrag.

Klare Haltung – offene Abstimmung

Trotz der deutlichen Kritik durch den Kreisvorstand betont der SPD-Kreisverband Heidelberg die Bedeutung des anstehenden Mitgliedervotums. Die Entscheidung über die Zustimmung zum Koalitionsvertrag liege in der Hand der Parteibasis. Der Vorstand ruft deshalb alle Mitglieder auf, sich kritisch mit den Inhalten auseinanderzusetzen und frei zu entscheiden.
„Demokratie lebt vom Streit um den besten Weg“, so die beiden Kreisvorsitzenden. „Aber genau dieser Streit muss auch geführt werden dürfen – offen, ehrlich und auf Basis unserer Grundwerte. Nur so bleibt unsere Partei lebendig.“